Die europäische Telekommunikationsbranche steht vor zahlreichen Herausforderungen. Welches sind Ihrer Meinung nach die größten Probleme?
S. Bern: Eines der größten Probleme ist die Überregulierung. Der Telekommunikationssektor in Europa ist stark reguliert, was die Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Unternehmen erheblich einschränkt. Zudem ist der Markt stark fragmentiert, was es den Anbietern erschwert, Skaleneffekte zu nutzen und ihre Dienstleistungen effizient auszuweiten. In einem solchen Umfeld sind zweistellige Renditen oft ein unerreichbarer Traum.
Wie wirkt sich die Konkurrenz durch so genannte Asset-Light-Unternehmen auf traditionelle Telco-Anbieter aus?
S. Bern: Asset-Light-Unternehmen treten in den Markt ein, ohne die hohen Investitionen in Infrastruktur tätigen zu müssen. Sie nutzen bestehende Netze und konzentrieren sich auf Dienste mit hohen Margen. Dies setzt traditionelle Telco-Anbieter unter enormen Druck und macht es für sie noch schwieriger, ihre Kapitalkosten zu decken.
Welche Strategien verfolgen Telco-Anbieter, um diesen Herausforderungen zu begegnen?
S. Bern: Viele Telco-Anbieter setzen auf die Integration von Software in ihre Infrastruktur. Durch den Einsatz von Software-Defined Networking (SDN), Network Slicing und Network Functions Virtualization (NFV) können sie ihre Netzwerke effizienter und flexibler gestalten. Diese softwaregesteuerten Netzwerke ermöglichen ein besseres Management von Cloud-Diensten und Kundendaten, was zu erheblichen Kosteneinsparungen führen kann.
Wie wichtig sind Cloud-Dienste und Kundendaten für die Zukunft der Telekommunikationsanbieter?
S. Bern: Das Management von Cloud-Diensten und Kundendaten wird immer wichtiger. Durch die Bündelung von Software und Energie können Telekommunikationsanbieter ihre Betriebskosten senken und ihre Effizienz steigern. Dies ermöglicht nicht nur Kosteneinsparungen, sondern auch die Erschließung neuer Einnahmequellen durch innovative Dienste und Anwendungen.
Können auch kleine Effizienzsteigerungen einen großen Unterschied machen?
S. Bern: Auf jeden Fall. Auch wenn die europäische Telekommunikationsindustrie wahrscheinlich keine globale Plattformökonomie entwickeln wird, könnten selbst bescheidene Effizienzsteigerungen von zwei bis drei Prozent die Rendite der Infrastrukturanbieter deutlich verbessern. Diese kleinen, aber signifikanten Verbesserungen könnten den Unterschied zwischen Verlust und Gewinn ausmachen.
Die großen Telekommunikationsanbieter streben an, „Digital Telcos“ zu werden. Was bedeutet das konkret?
S. Bern: Das Konzept der „Digital Telcos“ bedeutet, dass fast alle Aspekte der Unternehmensführung in die Cloud verlagert werden: Netzsteuerung, Sicherheit, Kundenanwendungen, Kundendaten und Kundeninteraktionen. Die Software-Schicht wird zum Schlüssel, um neue Umsätze zu generieren und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Welche Ziele verfolgen die großen Telcos im Bereich 5G und Glasfaser?
S. Bern: Ein zentrales Ziel ist die Marktführerschaft in den Bereichen 5G und Glasfaser. Um dies zu erreichen, müssen Telcos von den großen Hyperscalern lernen und teilweise ähnlich agieren. Das ist ein komplexer und herausfordernder Prozess.
Gibt es Parallelen zur Transformation in anderen Branchen, z.B. der Automobilindustrie?
S. Bern: Im Gegensatz zur Automobilbranche, die eine disruptive Transformation vom Verbrennungsmotor zum Elektroauto durchläuft, wird es in der Telco-Branche keinen so radikalen Umbruch geben. Allerdings fehlt es den Telekommunikationsunternehmen häufig an Fachkräften für die Softwareentwicklung und -steuerung, um eine vollständige digitale Transformation zu vollziehen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Telekommunikationsanbieter in Europa?
S. Bern: Die Telekommunikationsbranche in Europa steht vor großen Herausforderungen, aber auch vor großen Chancen. Durch die Anpassung an die Marktbedingungen, die Integration moderner Softwarelösungen und ein effizientes Ressourcenmanagement können Telekommunikationsanbieter ihre Position stärken und ihre Profitabilität steigern. Die Transformation zu Digital Telcos und die Marktführerschaft bei 5G und Glasfaser sind ehrgeizige Ziele, aber entscheidend für den langfristigen Erfolg. Die kommenden Jahre werden zeigen, inwieweit sie diese Chancen nutzen können, um ihre Zukunft in einer digitalisierten Welt zu sichern.
Herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview wurde von Michaela Küster, Beraterin für die IT- und Telekommunikationsbranchen bei Wassermann Partners, geführt.
Serdar Bern, Managing Partner bei Wassermann Partners, verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in den Bereichen Banking, Versicherung, IT und Telekommunikation.